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2005-11-21 Kurzgeschichte David verlässt Technomundo funkbag
David verlässt Technomundo

Von den Beschreibungen des Guides gelangweilt stapft David, die Hände tief in seine Taschen vergraben, hinter seinem Großvater her. Die Hologrammvideoprojektionen der Bergwerksarbeiten im Stollen sind nicht besonders aufregend. David hat sich den Besuch der stillgelegten Silberminen im Ressort Potosí spannender vorgestellt. Er bleibt etwas zurück und leuchtet mit der Taschenlampe in einen Querstollen. Er glaubt ein dumpfes Geräusch gehört zu haben. Da ist es wieder! ?Pooot.?

?Was war das?? Sein Großvater und der Guide haben wohl nichts gehört, sind schon um die nächste Ecke gebogen. Im Lichtkegel seiner Lampe glitzert der Edelmetallstaub an den Wänden, Wasser tropft von der Decke.

David betritt den engen Gang. Wieder hört er dieses merkwürdige dumpfe Geräusch, es scheint von tief unten aus dem Berg zu kommen. Er geht weiter. Immer wieder biegt er in Querstollen und folgt ihnen bis zur nächsten Abzweigung.

Es kommt aus dem kurzen Stollenstumpf da, aus der Richtung eines Haufens alter, morscher Holzbretter. David scharrt ein paar Bretter zur Seite. Ein schräg nach unten verlaufender Gang geht direkt ins Schwarze. Von einem kühlen Luftzug getragener feiner Staub gleitet ruhig aus der engen Öffnung heraus und tanzt im Licht. ?Das Geräusch muss von dort unten kommen!?

Um hier durch zu kommen, muss David den Oxygenator ablegen. Vorsichtig entfernt er die Maske von seinem Mund und atmet die dünne Luft, er muss vom vielen Staub husten, legt die Maske wieder an. Nach einigen Atemzügen versucht er es ein weiteres Mal, zieht den Sauerstoff jetzt gleichmäßig und langsam in seine Lungen, spürt das Kratzen des Staubs im Hals, unterdrückt das Husten und legt den Apparat beiseite.

Er schiebt sich auf dem Rücken liegend mit den Füßen voran in die enge Öffnung. Ein altes Rohr an der Wand bietet ihm dabei ein wenig Halt. Seine Turnschuhe finden im Dunkeln keinen Boden! Er rutscht ab, schlittert mehrere Meter nach unten und landet im nächsten Querstollen.

David prüft die Unversehrtheit seiner Knochen, zum Glück ist nichts passiert! Eine unerträgliche Hitze hat es hier unten, außerdem lässt sich die dünne Luft nur schwer atmen. Er geht weiter und kommt an eine Gabelung. Der rechte Gang ist breiter, alte rostige Schienen führen ins Dunkle, in der Kurve steht ein halb mit Gesteinsmaterial gefüllter Wagon. David folgt den Schienen und dringt immer tiefer in den Berg hinein.

?David, wo bist du, komm sofort zurück!? Nur ganz leise hört er die Rufe seines Großvaters, er muss umkehren!

?Hier bin ich, ich komme.?

Er geht die Schienen entlang zurück bis zur letzten Kreuzung, dann in den linken Querstollen und weiter bis zur nächsten Gabelung. An diese kann er sich nicht mehr erinnern, irgendetwas ist anders! Er geht zurück bis zur letzten Kreuzung und hier wiederum nach links, oder muss er nach rechts? Er wird unruhig, kann sich nicht mehr erinnern aus welcher Richtung er kam, dreht wieder um und geht zurück an die letzte Kreuzung, hier nun nach rechts.

?Verdammt, wo bin ich??

Er kann die Rufe seines Großvaters nicht mehr hören, sucht weiter, entfernt sich scheinbar immer weiter vom Besuchsstollen.

Endlich wird es am Ende des Ganges heller, er beginnt zu laufen, immer schneller, stößt sich an einem Felsbrocken, sein Kopf schnellt zurück. Er liegt am Boden. Spürt warmes Blut über sein Gesicht laufen und krabbelt auf allen Vieren weiter. Endlich erreicht er einen schmalen Spalt ins Freie, glaubt zurück im Besuchsstollen zu sein, aber etwas ist merkwürdig hier!

?Wo bin ich??

Das grelle Sonnenlicht brennt auf der Haut und in seinen Augen. Er hält sich zuerst die Hand vors Gesicht, öffnet dann vorsichtig seine Augen um freien Blick zu haben auf das, was er zwar Anfangs gesehen, aber nicht geglaubt hatte.

Vor ihm liegt eine Welt voller Chaos, Lärm und Verschmutzung. Er hört seltsame Geräusche, sieht Rauchsäulen am Horizont. Irgendetwas scheint hier nicht zu stimmen mit den Ozonfiltern und den Atmosphärenregulatoren! Ein fremder Geruch dringt in seine Nase, er kann ihn nicht genau zuordnen, wie Schmutz mit Schmieröl vermischt.

?Irgendwie muss ich ja wieder zu den Anderen finden!?

geht entlang einer steinigen Straße. Nahe am Fuße des Berges steht ein ausgebranntes Hochhaus, dahinter Holzbaracken. Es sieht aus, als würden hier Menschen leben! Er nähert sich vorsichtig einer Hütte. Wieder dringt dieser Geruch von Schmieröl in seine Nase.

Vor dem Eingang steht ein altes Auto, ein VW-Käfer, er kennt so einen vom Museum, das der einfach hier steht? Die ursprünglich weiße Farbe ist nur mehr an wenigen Stellen auszumachen, die Türen fehlen, das ganze Auto ist mit mehreren übereinander geschweißten Blechteilen zusammengeflickt, die Bleche nur mit einem Hammer notdürftig zur ursprünglichen Form zurecht geklopft. Der hintere Motordeckel fehlt und das Abschlussblech ist abmontiert. Der verschmierte Motor ist nach hinten weg vom Getriebe abgezogen, Werkzeug liegt auf einer ausgebreiteten, schmierigen Decke. David schiebt den im Eingang hängenden öligen Vorhang zur Seite.

Im Inneren sieht es unordentlich aus, alles ist verdreckt und schwarz, nahezu keine Möbel und Kommunikationseinrichtungen. In einem Eck liegt ein ganzer Berg leerer Schmieröldosen.

Gleich vor dem Eingang ist eine Feuerstelle, da stehen zwei Töpfe, in einem ist Essen, David ekelt es. Im hinteren Bereich liegt auf dem Boden eine Matratze und eine Decke, daneben ein paar Reparaturanleitungen. Von der Decke hängt eine Glühbirne, das Licht brennt. An der Wand ein vergilbtes Poster einer Bierwerbung, darauf zu sehen ein Strand mit Palmen und einer hübschen Frau im Bikini, sie hält eine Bierflasche in der Hand, Potosina!

David erschrickt, hatte nicht bemerkt, dass ein Junge hinter ihm stand und ihn beobachtete. Der Junge trägt keinen temperaturausgleichenden Multifunktionsanzug so wie er, sondern eine verdreckte Latzhose, in der ein Gabelschlüssel steckt, darunter einen dicken grauen Rollkragenpullover, der sich an den Ärmeln aufzulösen beginnt. Sein Gesicht ist dreckig, er hat lange, zu einem Schwanz zusammengebundene Haare. Er ist etwa so alt wie er selbst, nur einen Kopf kleiner und kräftiger gebaut.

?Hey was bist du den für einer und was hast du hier zu suchen in meiner Hütte?? David ist fassungslos, wo war er hier gelandet, wie sieht dieser Junge aus?

?Hallo, ich bin David? stottert er, ?hab mich verlaufen, komme aus dem Stollen da hinten, kannst du mir helfen zurück zu finden??

?Freundchen, ich bin doch kein Kinderaufpasser, hab jede Menge zu tun, siehst doch, dass meine Karre im Arsch ist!? Der Junge deutet hinter sich auf den alten Käfer vor der Hütte.

?Ist das deiner? Fährst du mit dem noch? Dort wo ich her komme stehen solche Autos nur noch im Museum!? Der Junge lehnt sich an den Türstock, überkreuzt die Beine und verschränkt lässig die Arme.

?Kommst wohl aus Technomundo! Hab schon viel von euch gehört, hätte aber nicht gedacht, dass ich je einen zu Gesicht bekomme!?

?Ich war auf einer Minentour mit meinem Großvater und meiner Schwester und hab mich verlaufen, wo bin ich hier??

?Na in Potosí, wo glaubst du denn, wie heißt du??

?David und du??

?Ich bin Pepe, der Altölpepe, so nennen sie mich hier, mein Job ist das Wechseln von Motor- und Getriebeöl!?

Die beiden stehen stumm da und sehen sich eine Weile an.

?Wie ist das Leben bei euch in Technomundo, auch so beschießen wie hier??, unterbricht Pepe das Schweigen,

?Wie finanzierst du dein Überleben??

?Ich lebe bei meinem Großvater, studiere Geschichte und werde später Lehrer. Meine Eltern sind vor einigen Jahren an einem mutierten Virus gestorben. Die Viren sind zu einem unlösbaren Problem geworden. Die Wissenschaftler suchen fieberhaft nach wirksamen Immunisierungsschildern für unsere Körper, die das Eindringen von Bakterien verhindern sollen!? Pepe schaut David ungläubig an.

?Lehrer brauchen wir hier nicht! Wir wissen alles was wir zum Leben brauchen und das Ende ist nicht mehr aufzuhalten!? David schaut auf seine Uhr, es ist schon spät, sein Großvater macht sich sicher Sorgen.

?Hör mal, heute findest du sowieso nicht mehr zurück, wenn du willst kannst du hier pennen, hab zwar nur diese eine Matratze voll mit Flöhen, aber vielleicht mögen sie dich ja nicht und zum Glück bist du nicht so dick wie ich und so werden wir schon Platz haben zu zweit, etwas zu Essen ist auch noch da, Seco de Chivo! Außerdem müssen wir deine Platzwunde am Kopf nähen, siehst ja furchtbar aus.?

Pepe lacht aus vollem Herzen, er hat nur mehr wenige Zähne in seinem Mund, die letzten sind in Silber eingerahmt. David findet Pepe sympathisch und beschließt zu bleiben, er ist neugierig geworden, will mehr wissen über die alte Welt, die sie im Geschichte Unterricht immer nur Subworld nannten.

Am Abend wird es schnell kalt und Pepe macht vor seiner Hütte ein Lagerfeuer. Die beiden setzen sich zum Essen ans Feuer.

?Weißt du eigentlich wie es bei uns zugeht, in Subworld, erzählen sie euch das??, unterbricht Pepe das Schweigen.

?Wenig, ich studiere ja Geschichte und da habe ich immer wieder Informationen darüber gesucht, aber kaum etwas gefunden. Wir wissen nicht sehr viel darüber, nur dass vor etwa zweihundert Jahren das Zeitalter von Technomundo begonnen hat, nachdem nach einer großen Naturkatastrophe die Welt unbewohnbar wurde.?

?Ha, alles Lüge, die haben für euch die Geschichte geändert. Willst du die Wahrheit wissen??

?Fang an, ich hab Zeit, ich glaube nicht, dass mich die Ortungssysteme hier aufspüren.?

Pepe erzählt David, dass im jahr 2080 die Spekulation mit Rohstoff- und Lebensmittelreserven zu einem Aufstand der Dritteweltländer geführt hatte. Hier in Bolivien hatten die Bauern damit begonnen die großen Lagerhallen von La Paz zu plündern, sie benützen dazu Dynamit, dass man hier in Potosi noch immer legal auf der Straße kaufen konnte.

Es gab auch damals schon implantierte Ortungsysteme und ItentifikationsRFIDs, die Übeltäter konnten zwar schnell gefasst werden, aber trotzdem erkannten die Privilegierten schnell, dass es nur eine Frage der Zeit sein konnte, bis eine Masse von zehn Milliarden Menschen sich holen würde, was die andere Milliarde ihnen vorenthält.

In den großen Ballungsräumen Europas und Amerikas begann man als erstes Technomundos zu gründen. Der Kontakt zur restlichen Welt wurde dabei systematisch abgebrochen. Es wurden atmosphärische Schutzschilder errichtet um alle Einflüsse wie Wetter und Strahlung fernzuhalten. Innerhalb der Technomundos bauten sie Atmosphärenanlagen und gewährleisteten ein störungsfreies Klima. Es gab keine Strahlenbelastung, keine Naturkatastrophen oder auch kriegerische Angriffsmöglichkeiten mehr.

Weil der Platz in den Technomundos keinesfalls für die gesamte Weltbevölkerung reichen würde, begannen sie damit, das über Jahrzehnte gesammelte Datenmaterial für jedes Individuum dieses Planeten auszuwerten. Es gab ein Ranking und jede Technomundo hatte eine bestimmte Anzahl von Plätzen zu vergeben. Auch gab es ethnische und thematische Unterschiede zwischen den einzelnen Technomundos und der Weltsicherheitsrat und Welthandelsorganisation regelten das Zusammenspiel zwischen den Welten. Wer den Kriterien nicht entsprach, wurde einfach nach kurzem Prozess durch die Schleusen in die alte Welt geschoben.

In dieser alten Welt blieb der ganze Müll und die zerstörte und vergiftete Natur zurück. Aber für die Mehrheit der Menschheit war das der neue, alte Lebensraum. Nur ein Zehntel der Weltbevölkerung fand in den Technomundos Platz. Man spricht auch von der großen Spaltung der Sozialschichten und dem Entstehen von zwei Welten auf unserem Planeten.

Für die Menschen in Technomundo wurde die Geschichte verändert und ihnen wurde erzählt, dass eine große Naturkatastrophe die Welt unbewohnbar gemacht hätte, das war die kolektive Lüge einer ganzen Generation.

Die Schleusen wurden von automatischen Sicherheitssystemen überwacht und jeder der keinen registrierten Chip im Körper hatte, wurde ausgeschlossen. Es gab viele Versuche Technomundos anzugreifen, aber die Schutzschilder hielten allem stand und der Einsatz von atomaren Waffen hat nur uns selbst geschadet. Heute ist um die Technomundos im Umkreis von mehreren Hundert Kilometern nichts mehr bewohnbar.

Während der Fortschritt in Technomundo nun ohne die Last der Entwicklungsländer sich schneller entwickeln konnte, bewegte sich Subworld in seiner eigenen Entwicklung und Geschichte wieder zurück. Es folgten große Kriege zwischen den verbleibenden Menschen in Subworld, die wieder mit primitiven Waffen, Mann gegen Mann, auf Schlachtfelder wie im Mittelalter, ausgetragen wurden.

Heute nimmt jeder zur Kenntnis, dass die Strukturen des Zusammenlebens nicht mehr funktionieren und die Menschen leben wieder in kleinen Gruppen, es ist ähnlich wie in den Technomundos, nur ohne Regeln, anonym, dreckig und voller Gefahren.

David kann kaum glauben, was Pepe ihm da erzählt. Die Menschen in Technomundo hätten überhaupt keine Ahnung, was hier draußen los ist. Man ist der Meinung, dass wenn es hier draußen noch Leben gibt, dann nur in sehr einfacher Form. Und in den Medien wird immer wieder von großen Forschungsexpeditionen berichtet, bei denen sie außerhalb von Technomundo auf Bakterien gestossen sind. Wie eine Sensation wird es in den Schlagzeilen dargestellt und den Menschen macht man dadurch Hoffnung, dass es vielleicht irgendwann wieder möglich sein wird, die Atmosphärenwelten zu verlassen.

?Hör mal, du hast doch so einen Chip eingeplanzt, oder?? fragt Pepe.

?Ja, warum??

?Naja, mit diesem Chip kannst du doch wieder zurück nach Technomundo!?

?Ja, er enthält meine biometrischen Daten und den eindeutigen IndividCode.?

?Würdest du bereit sein mit mir zu tauschen??

?Das würde dir nichts helfen, denn sie wissen sicher schon, dass ich Technomundo verlassen habe und bei meiner Rückkehr finden mich die Ortungssysteme in weniger als zwanzig Sekunden. Du würdest zwar unbeschadet die Schleusen passieren können, aber du hättest dann nur zwanzig Sekunden!?

?Das stimmt, aber was wird passieren, wenn du zurückgehst??

?Hmm, sie werden mich fragen wo ich war und was ich weiß!?

?Stimmt und deshalb können sie dich unmöglich wieder zurück nach Technomundo lassen, den du könntest die Wahrheit verbreiten und möglicherweise würden es manche Menschen nicht gut finden, was hier draußen los ist und das System erneut kritisieren und von innen angreifen.?

David denkt nach. Pepe hat recht, sie würden ihm die Geschichte mit dem unentdeckten Schlupfloch im Stollen des Bergwerksmuseums zwar glauben, aber er kann weder verhindern, dass sie die Daten der Gedankenströme aus seinem Biospeicher auswerten, noch dass sie ihn an den Erinnerungsscanner anschließen. Wahrscheinlich würden sie ihn in einem kurzen Prozess von Technomundo verweisen, da könnte auch sein Großvater sicher nichts dagegen machen.

Ganz ernst fragt Pepe nach einer Weile:

?Willst du uns helfen? Glaubst du, du findest zurück zu dem Schlupfloch in dem Stollen??

?Kann sein!?

Die beiden planen sofort am nächsten Tag die undichte Stelle von Technomundo zu suchen. Weiters müssen noch allerhand Vorbereitungen getroffen werden, wie sie die Wahrheit über Subworld im Inneren von Technomundo verbreiten und beweisen können. Und sie brauchen mehr Menschen die ihnen dabei helfen Subworld mit Technomundo wieder zu vereinen!